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Der Mann, der hoch hinauswill

Der Mann, der hoch hinauswill

Mathias Gabathuler hat beim Klettern für das Leben und den Beruf gelernt. Nun soll die Stadt sein Berg werden.

Die Feigen kommen aus dem eigenen Garten. Den Kachelofen feuert er mit Holz vom Bauern ein. Und der Esstisch besteht aus einer Ulme, die einst auf dem Friedhof Feldli gestanden hat. Mathias Gabathuler ist das Lokale wichtig: «Weil wir uns wohlfühlen in der Stadt.» Der Tisch ist extra lang.«Bei uns essen immer viele Leute mit», sagt der 53-Jährige. Da sind Ehefrau und Organisationspsychologin Petra Neff, die drei Kinder Ella, Bela, Till. Und deren Freunde. «Ein Auffangbecken» sei ihre Küche, am Wochenende nach dem Ausgang und auch sonst. «Meine Frau und ich durften offene Elternhäuser erleben.» Das habe geprägt. «Glück ist eine Küche voll mit Familie», steht auf einem Schild. Es hängt nicht bloss da, weil es hübsch aussieht.

Der Hippie in Alaska

Gabathuler führt durch das Haus. 100 Jahre alt ist es, einst hätten Textilindustriearbeiter hier gewohnt, später Kommunen. Gabathuler scheint das zu gefallen. Er sah selber mal wie ein Hippie aus, zeigt ein Bild auf seiner Wahlwebsite. 22 Jahre alt war der heutige Rektor der Kantonsschule am Brühl St.Gallen damals, er trug langes Haar, eine übergrosse weisse Sonnenbrille und hatte es gerade auf den Mount McKinley in Alaska geschafft. Mit 6190 Meter nicht der höchste, aber «der kälteste Berg», sagt er. «Beim Klettern habe ich gelernt, meine Kräfte in herausfordernden Situationen zu bündeln.» Immer wieder vergleicht er Leben und Beruf mit dem Sport. Er, der Expeditionen im Alpinstil in Zentralasien, Afrika und Südamerika geleitet hat, führt auch sonst gerne. Er spricht von Seilschaft, von Vertrauen, von Verlässlichkeit. Noch steht er Lehrerinnen und Lehrern vor, bald soll es der Stadtrat sein. «Ich habe in den letzten zehn Jahren die Schule modernisiert. Nun will ich einer Nachfolge die Chance geben, sich als Rektorin oder Rektor einzubringen.» Tönt uneigennützig, ist es nicht nur: Gabathuler will sich weiterentwickeln. Nicht umsonst hat er sich den Übernamen «Mr. Perfect» eingehandelt. Ein politischer Quereinsteiger (FDP) zwar, aber mit einem Lebenslauf wie aus dem Bilderbuch. Ausbildung zum Sekundarlehrer, er unterrichtet und studiert nebenbei Deutsch und Geschichte, lehrt an den Kantonsschulen Burggraben und am Brühl, wechselt als Ausbildner teils in die Privatwirtschaft, wird Rektor, präsidiert den kantonalen Mittelschullehrerverband, engagiert sich im Quartierverein, in der Kirchenvorsteherschaft. «Man muss Verantwortung aushalten können.» Hat er von seinem Vater gelernt, der Lehrer in St.Margrethen war. Und Bankpräsident, Kirchenratspräsident, Musikvereinvizedirigent. Gabathuler sieht sich als Organisator, Vernetzer, Allroundertyp, er sei aber nicht sehr präzise. «Deshalb habe ich wohl keinen Ausbildungsplatz als Pilot erhalten.» Er kommt schlecht mit Unehrlichkeit klar. Und: «Ich konnte schon immer gut reden, nur nicht über Gefühle. Zum Glück ist meine Frau Psychologin», sagt er und lacht.

ÖV-Fan im Subaru unterwegs

Auch am Berg hat er schon umkehren müssen. Seit der Geburt von Ella – sie ist 18 Jahre alt – begnügt sich Gabathuler mit den Alpen. Immer häufiger sind die Kinder dabei. Hoch über dem Taminatal lernten sie zwei Jäger kennen und durften sie begleiten. Ein Erlebnis, das Till beeindruckte: Auf dem Rückweg offenbart er dem Vater, dass er Jäger werden will. Und bittet ihn, schon einmal die Jagdprüfung zu absolvieren. «Erlegt sie dann ab, wenn er volljährig ist.» ÖV-Fan Gabathuler hat wegen des Hobbys sogar ein Auto angeschafft. Einen alten Subaru. «Seither grüsst mich jeder Appenzeller Bauer.» Smart wirkt er, urban ebenfalls. Fehlt noch das dritte Wort aus dem Wahlslogan: rockt. Sein Musikgeschmack sei damit nicht gemeint, der Begriff stehe für den Ruck, der durch St.Gallen gehen müsse. Die Stadt sei schön, stehe aber still, höre er oft. «Das will ich ändern.»

(Quelle: Tagblatt, 05.09.2020)

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